WILLKOMMEN ZUR REMEMBER WEB VERSION
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Erfahren Sie auf besondere Weise Aspekte der Geschichte der Berliner Charité während der NS-Zeit.
Die REMEMBER-App begleitet Sie auf dieser Reise über den Charité Campus Mitte.
Sie führt Sie zu acht Gedenkskulpturen und eröffnet künstlerische Perspektiven auf die Historie.
Erleben Sie interaktive Videokunst.
AUSSTELLUNG - GeDenkOrt.Charité
„Der Anfang war eine feine Verschiebung in der Grundeinstellung der Ärzte.“
Die Charité im Nationalsozialismus und die Gefährdungen der modernen Medizin
Eine „Wissenschaft in Verantwortung“ fragt auch danach, welche Verhältnisse und Haltungen in der Medizin dazu führen können, dass Ärztinnen und Ärzte in einer ethisch fragwürdigen und menschenverachtenden Weise handeln.
Angehörige der Berliner Medizinischen Fakultät ließen sich in der Zeit des Nationalsozialismus umfassend und bereitwillig für die biopolitischen Ziele und Maßnahmen des Regimes in Anspruch nehmen. Sie machten ihre Kliniken und Institute in der Charité und in der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Orten der NS-Rassen-, Leistungs- und Vernichtungsmedizin.
Die Ausstellung dokumentiert in neun Stationen das Handeln der Akteure und Akteurinnen und Grenzüberschreitungen der medizinischen Wissenschaft und Praxis in der NS-Zeit.
PSYCHIATRIE UND NEUROLOGIE
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Psychisch Kranke weichen in ihrem Verhalten nicht selten von gesellschaftlichen Normen ab und werden deshalb stigmatisiert.
Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein verbanden selbst Psychiater*innen mit „Geisteskrankheiten“ erbliche Kriminalität und moralische Defektzustände.
In der NS-Zeit legitimierten diese Vorstellungen Unfruchtbarmachung und Krankenmord.
Auch Psychiater der Charité erstellten zahlreiche Gutachten über vermeintlich „Erbkranke“, die zu Zwangssterilisationen führten.
„Unheilbar“ psychisch Kranke und „bildungsunfähige“ Kinder wurden in Tötungsanstalten verlegt.
Der Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité, Max de Crinis (1889–1945), beteiligte sich maßgeblich an der Organisation dieser Vernichtung „lebensunwerten Lebens“.
Außerdem sorgte er für die Bewilligung von Fördergeldern für „Euthanasie“-Begleitforschungen.
FRAUENHEILKUNDE
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Bis heute dient der Frauenkörper als Projektionsfläche für moralisierende gesellschaftliche Zuschreibungen.
Im Vergleich zum männlichen wird der weibliche Körper häufig auch als defizitär beschrieben.
Entsprechend dem biologistischen Menschenbild im Nationalsozialismus wurden Frauen auf erb- und rassenbiologische Merkmale reduziert.
Sie sollten „erbgesunde“ Kinder gebären, um den „Volkskörper“ zu stärken.
Bis hin zu Zwangssterilisationen und Zwangsabtreibungen unterlag der weibliche Körper „rassischen“ und erbgesundheitlichen Bewertungen, die naturwissenschaftlich begründet und von vielen Medizinern als fortschrittlich bewertet wurden.
Auch die Frauenklinik der Charité und die Universitätsfrauenklinik unter dem Direktor Walter Stoeckel (1871–1961) führten Unfruchtbarmachungen durch; allein die Universitätsfrauenklinik nahm zwischen 1934 und 1944 mindestens 129 Zwangssterilisationen vor.
LEHREN UND LERNEN
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Universitäten sind Räume der Bildung und des intellektuellen Austauschs.
Werte und Überzeugungen, die Studierende einbringen oder Lehrende vermitteln, prägen das spätere berufliche Handeln ebenso wie das fachliche Wissen.
Häufig sind es Studierende, die das politische System ihrer Zeit kritisieren und sich für Veränderungen einsetzen.
Bereits vor 1933 setzten sich Studierende der Berliner Universität, darunter auch Medizinstudierende, für rassistisch-völkisch ausgrenzende und autoritäre Gesellschaftskonzepte ein.
Sie verstanden sich als Vertreter*innen einer „politischen Hochschule“ und einer nationalen Revolution.
Sie bedrohten und vertrieben politisch Andersdenkende und unterstützten die rassistische „Säuberungspolitik“ des Nationalsozialismus.
Die studentische Aktion „Wider den undeutschen Geist“ fand ihren Höhepunkt am 10. Mai 1933 in Berlin mit der Bücherverbrennung auf dem damaligen Opernplatz.
ANATOMIE
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Medizinische Erkenntnisse basieren auch auf einer Praxis der Forschung an Leichnamen.
Studierende eignen sich mit der Zergliederung des Körpers grundlegendes topografisches und morphologisches Wissen an.
In der Begegnung mit den Toten machen sie zugleich erste Erfahrungen mit der Balance zwischen professioneller Distanz und Mitgefühl.
In der NS-Zeit übernahmen die anatomischen Institute auch Leichname von Personen, die Opfer von nationalsozialistischem Unrecht geworden waren, und verwandten sie für die Forschung und Lehre.
Weil die Sektionen ohne Einwilligung der Betroffenen erfolgten und deren Totenruhe und Menschenwürde missachtet wurden, sind sie aus heutiger Sicht als ethisch problematisch anzusehen.
Der Leiter des Berliner Anatomischen Instituts, Hermann Stieve (1886–1952), führte auch Forschungen an den Körpern hingerichteter Frauen aus dem Zuchthaus Plötzensee durch.
KINDERHEILKUNDE
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Kinder bilden eine besonders verletzbare Patientengruppe und genießen deshalb besonderen Schutz.
Während „erbgesunde“ Jungen und Mädchen in der NS-Zeit mittels „vorbeugender Gesundheitsführung“ gefördert wurden, zog man „erbkranke“ und „bildungsunfähige“ Kinder zu medizinischen Experimenten heran und ermordete sie im Rahmen der „Euthanasie“-Aktionen.
Der Direktor der Charité-Kinderklinik, Georg Bessau (1884–1944), erprobte nach 1939 Tuberkulose-Impfstoffe an „lebensunwerten“ Kindern.
Als Folge traten große, schmerzhafte Abszesse (Eiteransammlungen) auf; mindestens zehn Kinder starben infolge der Experimente.
Für die Versuche wurden Kinder zwischen zwei und 15 Jahren ausgewählt. Viele waren unehelich geboren und ohne familiäre Bindung in Heimen aufgewachsen.
VERFOLGTE WISSENSCHAFT
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Akademische Unabhängigkeit steht nicht notwendig einer politisch-gesellschaftlichen Vernetzung entgegen.
Im Nationalsozialismus ließen sich jedoch Ärzt*innen und Forscher*innen, auch Angehörige der Berliner Medizinischen Fakultät, auf eine einseitige Indienstnahme für politisch-ideologische und militärische Ziele des Regimes ein.
Gleichzeitig wurden wissenschaftliche Ansätze, die der NS-Ideologie widersprachen, vernachlässigt oder verboten und entsprechende Institute geschlossen.
Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 markiert den Beginn einer reichsweiten Entlassungswelle „rassisch“ und politisch unerwünschter Angehöriger des öffentlichen Dienstes.
Die Berliner Universität und die Charité entließen bis 1938 mehr als 160 Angehörige der Medizinischen Fakultät Berlin und eine unbekannte Zahl weiterer Mitarbeiter*innen.
DERMATOLOGIE UND VENEROLOGIE
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Da sich sexuell übertragbare Krankheiten vornehmlich an der Haut manifestieren, etablierte sich die Lehre von Geschlechtskrankheiten, die Venerologie, um 1900 als Spezialdisziplin der ebenfalls noch jungen Dermatologie.
Mit der Entdeckung des Syphilis-Erregers und der Entschlüsselung des Krankheitsmechanismus im Jahr 1905 offenbarten sich auch die schweren physischen und psychischen Folgen dieser Krankheit, die nicht selten nach langem Siechtum zum Tode führte.
Erst mit der Einführung einer antibiotischen Therapie war die Syphilis nach 1945 auch ursächlich zu behandeln.
Lange Zeit galt deshalb die gesundheitspolizeiliche Überwachung (auch Zwangsuntersuchung) weiblicher Prostituierter, die für die Verbreitung der Krankheit vornehmlich als verantwortlich galten, als geeignete Methode, Syphilis zu verhindern.
Zwar setzte sich allmählich auch die Erkenntnis durch, dass eine Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Geschlechtskranker erforderlich war. Trotzdem wirkte sich vor allem in der NS-Zeit die diskriminierende Charakterisierung Prostituierter als minderwertig, schädlich und krankmachend weiterhin zum Nachteil der betroffenen Frauen aus.
Insbesondere Menschen, die von der „Progressiven Paralyse“, der syphilitischen Gehirnerkrankung, betroffen waren, wurden auch in die Krankenmordaktionen in der NS-Zeit einbezogen.
CHIRURGIE
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Die Charité verfügt über eine lange Tradition der Ausbildung von Feldscheren und Militärchirurgen. Gerade den Chirurgen galt der Krieg als Gelegenheit, ihre Fertigkeiten in großem Stile anzuwenden und ihr Wissen zu erweitern.
Auch der als „Rassen“- und Vernichtungskrieg geführte Zweite Weltkrieg forderte die Chirurgen wiederum in besonderer Weise heraus; er begünstigte aber auch die ethische Entgrenzung ärztlichen Handelns.
Namhafte Chirurgen beteiligten sich an Medizinverbrechen, wobei ihre enge Anbindung an das Militär, die SS und den NS-Herrschaftsapparat die Missachtung humanitärer Prinzipien beförderte.
So unternahm der Chirurg Karl Gebhardt verbrecherische Versuche an Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück, in deren Folge zahlreiche Probandinnen starben oder dauernde Schäden davontrugen. Karl Gebhardt wurde dafür im Nürnberger Ärzteprozess 1947 zum Tode verurteilt und hingerichtet.